Die Österreichisch-Süddeutsche Provinz
der Oblaten des hl. Franz von Sales
an der Schwelle des 3. Jahrtausends:
Analysen und Zukunftsperspektiven“
Samstag, 27. Mai 2006, Augustinerkirche (Wien)
Dienstag, 3. Oktober 2006, Pfarrkirche Heilige Familie (Eichstätt)
von P. Thomas Vanek OSFS
Wo liegt der Wille Gottes für die Sales-Oblaten der
österreichisch-süddeutschen Provinz an der Schwelle des 3. Jahrtausends? Diese
Frage klingt nach einer großen Herausforderung – und fürwahr sie ist es
tatsächlich. Nach vorn zu schauen mag angesichts der vielen Unbekannten, die
sich uns heute und mit uns fast allen Ordensgemeinschaften im
mitteleuropäischen Raum stellen, das Wagnis sein, in tiefe Angst und
Resignation zu verfallen. Denn viele Umstände lassen realistisch betrachtet nur
mehr auf die Ars moriendi – die Kunst zu sterben hinweisen. Das sind die
ständig abnehmende Zahl der Mitbrüder, der zunehmende Altersdurchschnitt, die
Entchristlichung und damit auch Entwertung des Menschenbildes in einer auf
Konsum und Materialismus immer deutlicher aufbauenden Gesellschaft in
Mitteleuropa. Und Ordensleute sterben in dieser Zeit auch nicht viel leichter als alle anderen
Menschen, denn das Loslassen betrifft sie mit all den Werken und Besitzen, die
sie in den letzten hundert Jahren aufgebaut haben, genauso wie jeden
Großindustriellen oder Großunternehmer, der mangels eines Erben seinen Betrieb
dicht machen muss.
Vor 60 Jahren ist man in eine gestaltete Welt
hineingeboren worden. Heute muss man den Sinn des Lebens selbst suchen und
gestalten. Der Einzelne steht vor dem Problem, in seinem Fachbereich zwar ein
Experte zu sein, aber in anderen Bereichen überhaupt nichts zu wissen und daher
auch nichts zu sein. Der Mensch aber denkt nicht eindimensional. Denn selbst
die Forschung hat viele Fragezeichen – ethisch und moralisch – und so manchen
holen die Ängste ein, wenn er nur daran denkt, was zwar alles möglich ist
(machbar ist), aber hoffentlich nie wirklich produziert bzw. verwendet wird.
Seine Not erfährt der Mensch darin, dass er trotzdem auch Erfahrungen
macht, in denen er kein Experte ist. Wie
aber kann er diese unterschiedlichen Erfahrungen zusammenbringen – unter einem
Hut bringen? Anders gesagt: er muss selbst seinen „roten“ Faden finden, seine
Identität im Zusammenspiel der unterschiedlichsten Welten und Erfahrungen.
Diese Suche ist bereits eine spirituelle Entwicklung – und die Neuschaffung
einer eigenen Religion. Es kann sein, dass jemand in seiner Suche nach diesem
sinnstiftenden roten Faden etwas entdeckt, das es bereits in einer vorhandenen
religiösen Gruppe gibt. Z.B. bei den Oblaten des hl. Franz von Sales. Und dann
kommt er mit dem Wunsch, bei uns einzutreten. Es kann aber auch sein, dass er
sich ganz etwas anderes unter Ordensleben vorstellt und wir ihm das so in
unserer Begrenztheit nicht geben können.
Was in den 60er und 70er Jahren von der Kirche zu Friede und
Gerechtigkeit, Fortschritt und Wohlstand gesagt wurde (Johannes XXII.) hat sich offensichtlich anderswohin
entwickelt: denn die Menschen erleben trotz Überfluss Mangel an
Beziehungsfähigkeit, Mangel an Gemeinschaft, an Stabilität und Anerkennung.
Doch in Anbetracht der immer größer werdenden
personellen Lücken müssen wir uns erstmals in der 100jährigen Geschichte
unserer Provinz mehr mit dem WAS als mit dem WIE beschäftigen, also welche Apostolate
wir behalten wollen und welche wir
selbst wenn wir wollten – einfach aufgrund der personellen Not nicht
mehr halten können. Abbruch-Umbruch-Aufbruch sind die Schlagworte, die über uns wie ein Schleier liegen und uns
die Sicht verdunkeln. Es sieht so aus, als hätten wir schon zu lange
zugewartet, Entscheidungen hinausgeschoben, weil es doch immer wieder noch
weiterging. Bischof Manfred Scheuer sagt: „Das Ordensleben steht im
Spannungsfeld zwischen der Suche nach positiven Ressourcen und der Erfahrung
des ‚burn out’, zwischen Selbstverwirklichung und Selbstlosigkeit, der
unbedingten Erfahrung: ‚Da musst du helfen’ und den ‚hilflosen Helfern’.“
[3]
Und fürwahr, diese Spannung ist eine echte Zerreißprobe für die
Ordensgemeinschaften in Mitteleuropa. Der Jesuit Stefan Kiechle stellt das noch dramatischer dar: „Da derzeit
keine Wende abzusehen ist, wird man sagen müssen, dass die Orden in der bisher
gekannten Form in absehbarer Zeit in Mitteleuropa verschwinden werden. Nur
kleine, vermutlich in der Öffentlichkeit wenig wahrnehmbare Zellen werden
weiter bestehen. Von den großen Klöstern werden schon jetzt einige – und in
naher Zukunft sehr viele – geschlossen, was jedes Mal einen schmerzhaften
Einschnitt bedeutet.“
[4]
In seinem Referat „Sendung und Erwartung der Ordensgemeinschaften heute“ am
Studientag der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz im
Februar dieses Jahres bestätigt der Benediktiner Christian Schütz diese
Prophetie. „Wir sprechen von Ordensniederlassungen und –gemeinschaften als Auslaufmodellen,
von deren Schließung, Auflösung oder Untergang, von einem Verschwinden, Sterben
oder Aussterben…. Etwas schonungsvoller klingt es, wenn von einer Ablösung oder
Gesundschrumpfung einer Ordensgemeinschaft die Rede ist.“
[5]
Ist also Torschlusspanik für uns Sales-Oblaten angebracht?
Wir können uns zwar damit trösten, dass es allen anderen Orden auch so geht,
und halten uns deshalb an dem fest, was uns in der Vergangenheit gelungen ist
und uns als erfolgreich auszeichnet. Damit aber laufen wir in Gefahr, uns mehr
der Durchschnittlichkeit als der Radikalität zu verschreiben. Und Radikalität
ist das Wesen der evangelischen Räte, die die Freiheit im Verzicht und im
Loslassen wählen, um dadurch offen für die Zeichen der Zeit und die Nöte der
Menschen zu sein.
Aber gehen wir zurück zum Zeitungskiosk am Bahnhof.
Wenn schon so viele Fachzeitschriften da aufliegen, warum legen wir nicht eine
salesianische Fachzeitung dorthin - mit der Hoffnung, dass es jemanden gibt,
der sie entdeckt und kauft. Ich glaube aber, wir würden vergebens warten. Wir
würden Oblatesein ebenso zum Expertentum erklären und damit ein weiteres
Fachgebiet eröffnen, das aber den Menschen an sich nicht hilft, den „roten
Faden“ seiner Identität zu finden. Ich glaube vielmehr, wir haben in unserer
Spiritualität gerade das, was dem Menschen hilft, seine Identität zu finden.
Aber nicht aufgrund irgendeines Expertentums, sondern aufgrund eines
optimistischen Gottes- und Menschenbildes. Wie oft spricht Franz von Sales
davon, dass die Gottes- und Nächstenliebe, die Frömmigkeit, das geistliche
Leben unabhängig davon ist, welcher gesellschaftlicher Schicht man angehört,
welche Arbeit man verrichtet, oder welche Lebensform man wählt: Familie,
Singledasein oder Leben in einer geistlichen Gemeinschaft. Also keine
salesianische Fachzeitung ist die Lösung, sondern zu den Menschen am Kiosk hingehen, die da aus den
verschiedensten sozialen Schichten und persönlichen Lebenswelten hinkommen, mit
ihren Problemen, ihren Ängsten und ihren Nöten, aber auch mit ihren ganz
individuellen Interessen, denn sonst würden sie nicht zum Kiosk kommen.
Die Sales-Oblaten in Österreich und Süddeutschland
waren (in den Anfängen der Provinz und nach dem zweiten Weltkrieg) sehr mutig.
Sie nahmen die Bedürfnisse der Kirche und der Menschen wahr, ohne große
Auswahlkriterien. Oft waren es keine besonderen oder herausragenden
apostolische Tätigkeiten. Dennoch hatten sie den Mut, das anzugehen, was noch
keine kirchliche Tradition kannte, und dafür sogar einzelne Mitbrüder nach ihren
Begabungen und Talenten in ein unbekanntes pastorales Neuland auszusenden. Natürlich hatten sie auch die personellen
Ressourcen.
Betrachten wir heute unsere großen Werke (Apostolate), dann wissen wir zwar, dass wir sie nicht so
einfach im Stich lassen können, müssen aber auf der Hut sein, dass sie uns
einerseits nicht ins „Burn out“ treiben, uns andrerseits auch nicht so
blockieren, dass wir meinen, den neuen Wein (nur) in alte Schläuche füllen zu dürfen und damit Ideen und
Visionen, für die sich Ordensleben existentiell freihält („Jungfräulichkeit“),
mit zu vielen Vorgaben einsperren oder ersticken. Und das Wort Jesu ist bedenkenswert: Neuer Wein gehört in Neue Schläuche. (Mk 2,22) Was aber sind
die Neuen Schläuche? Propheten des Ordenslebens gibt es immer mehr, was
investieren wir für unsere Umkehr? Und Umkehr heißt nicht rückwärtsgehen
sondern, auch nicht stehen bleiben, sondern auf dem Weg bleiben. Und der Weg
ist laut Bergpredigt nicht breit und bequem, sondern schmal und herausfordernd.
Ich habe in einem Artikel über „Die Krise des
Ordenslebens in Europa – Aufruf zu einem weltweiten Ordensleben“
[7]
von José Maria Vigil, einem Theologen der Ökumenischen Vereinigung der
Theologen und Theologinnen der Dritten Welt, eine interessante These gelesen,
die m.E. ein herausfordernder Beitrag für die Diskussion unter uns
Sales-Oblaten sein könnte. José Maria Vigil beobachtet Mitteleuropa aus der
südamerikanisch-spanischen Perspektive. Auch er ist davon überzeugt, dass die
religiöse Krise in Europa nicht nur das Christentum betrifft. Jede Religion würde sich in Europa
verabschieden, und übrigens überall auf der Welt, wo sich eine Gesellschaft von
ihren agrarischen und postindustriellen Wurzeln verabschiedet und hinentwickelt
zu einer technologischen Wissensgesellschaft. Und mit den Kirchen, die in den
Traditionen der „alten“ Kulturen verwoben sind, werden auch die Orden der
Wissens- und Technologiegesellschaft zum Opfer fallen. Denn die meisten haben
sich aus der Not der letzten Jahrzehnte heraus in das Kollektiv der Kirche
eingefügt und damit ihre ursprüngliche prophetische Freiheit zurückgestellt.
Man wird diesen Sterbeprozess nicht aufhalten können, höchsten hinausschieben,
wenn man sich beispielsweise auf die personelle Hilfe anderer Kontinente
verlässt. Eine dauerhafte Lösung aber scheint diese Perspektive nicht zu
bringen. Zudem ist es uns in den letzten 40 Jahren nicht oder nur teilweise
gelungen, das „Aggiornamento“ des 2. Vat. Konzils als Auftrag zu erfüllen. Die
moderne Welt, mit der das Konzil im Dialog stand, gibt es nicht mehr. Wir
stehen einem anderen Gesprächspartner gegenüber. Die „unerledigte“ Aktualisierung
des Konzils wäre selbst, wenn sie heute verwirklicht würde, völlig überholt.
Eine ganze Titanic geht unter, und es ist unnötig, sich dagegen aufzulehnen und
sie zu reparieren, wieder flott zu machen oder umlenken zu können.
Mit der Engstirnigkeit der eigenen Visionen das
sinkende Schiff retten zu wollen, wäre nicht mehr als Wasser aus dem Schiff zu
pumpen, dabei aber doch immer tiefer zu versinken. Da die Religionen versinken, versinken auch die Institutionen. Es
geht nicht mehr um eine Reform, eine Neuorientierung oder Aktualisierung, ja
nicht einmal um eine „Neugründung“, sondern um Mutation, Metamorphose,
um eine Neuformung. ….Die einzige
Hoffnung liegt darin, sich darauf zu konzentrieren, lediglich das zu retten,
was noch zu retten ist, sich damit zu begnügen, was man am Leibe trägt, oder
besser noch, alles auszuziehen, was stört.
Für uns Sales-Oblaten eigentlich kein Grund zur
Resignation! Kreativ an der Grenze zu leben, frei, nackt, auch in der
unbekannten „Wissensgesellschaft“, die kommt und bleiben wird und uns dazu
zwingt, uns von allem zu trennen, was mit ihrer Ankunft untergeht…
Und ich zitiere noch einmal Christian Schütz vor
der Deutschen Bischofskonferenz: Er sagt, es fehle bei aller Notwendigkeit und
Berechtigung der Wege, die sich Ordensgemeinschaften zu ihrem Weiterbestand
zurechtlegen, einer, „der heute im Interesse der Plausibilität, Rechtfertigung
und Authentizität von Christsein und Glaube vor allem gefragt ist: der der
Anschaubarkeit, Anfassbarkeit und Begreifbarkeit Jesu Christi im lebendigen Spiegel und
gelebten Zeugnis seiner Lebensweise. Gefragt ist Nachfolge Jesu zum Anfassen,
im Originalton. Das ist mehr als Ethik oder Moral im christlichen Sinn.“
[9]
Es geht also um Ordensleute zum Anfassen, um
Originale und keine Kopien, um den Mut, sich auch angreifen zu lassen und nicht
nur zu warten, bis jemand kommt, in dessen Vorstellung wir eben hineinpassen.
Wenn ich unsere Satzungen (Unsere Sendung) durchblättere, dann finde ich genau
diesen Gedanken schwarz auf weiß. „Unsere besondere und ursprüngliche Berufung
besteht in der erneuten Menschwerdung Christi in unserem Leben.“ (Satzungspunkt
131)
[10]
Christus leben, damit die Menschen ihn in uns anfassen, berühren und erfahren
können. In der täglichen Neuformung Jesu in uns liegt doch ein wunderbarer
Auftrag. Das war Franz von Sales: In ihm sah man den Heiland auf der Erde von
neuem wandeln – so beschrieb der hl. Vinzenz von Paul Franz von Sales bei
dessen Heiligsprechungsprozess.
[11]
Was unser konkretes Gemeinschaftsleben betrifft, so
zeigt Josef Maureder SJ in seinem Buch: „Wir kommen, wohin wir schauen“ auf,
worauf es ankommt, wenn wir in die Zukunft schauen.
„Geistliche Gemeinschaften haben Zukunft,
·
wenn sie leidenschaftlich aus der Tiefe leben, d.h. wenn sie eine echte Leidenschaft für Gott und die
Menschen bewegt.
·
wenn sie für junge Menschen eine „ansprechende Alternative“ sind.
·
wenn sie ein klares
Profil ihrer Sendung wagen, d.h. das eigentliche Profil ihres Charismas tatsächlich leben. Und wenn sie
ehrfürchtig junge Menschen auf ihrer Wegsuche begleiten, dabei das Radikale der
Hingabe nicht verschweigen und trotzdem die Grenzen der Wirklichkeit annehmen.“
[12]
Wohlgemerkt, Josef Maureder spricht von geistlichen Gemeinschaften! Wie sich
nun tatsächlich unsere geistlichen Gemeinschaften zu gestalten, zu mutieren bzw. neu zu formen haben, das wird uns in den nächsten Jahren sicher
noch viel beschäftigen. Sie werden auf alle Fälle die Seele jeglicher
Neuformung sein.
[1] Vgl. Danièle Hervieu-Leger: Pilger und Konvertiten – Religion in Bewegung, Ergon-Verlag 2004
[2] Vgl. Bachinger Alois, Annäherung an das Verständnis von Identität der Oblaten des hl. Franz von Sales, in: Geschichte und Sendung, herausgeg. von den Oblaten des hl. Franz von Sales der österreichisch-süddeutschen Provinz, Eichstätt 1998, S. 24
[3] Scheuer Manfred, In Wort und Beispiel des Herrn begründet (Lumen Gentium 43) in: Ordensnachrichten 45. Jhg. 2006/Heft 1, S. 9
[4] Kiechle Stefan, Mut zur Hingabe, in: HerKorr 58 (2004), S. 336-340
[5] Schütz Christian, Sendung und Erwartung der Ordensgemeinschaften heute, in: Leidenschaft für Christus – Leidenschaft für die Menschen. Ordensleben am Beginn des 21. Jahrhunderts. Arbeitshilfen Nr. 201. Herausgeg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2006, S. 13-31
[6] Vgl. ebd.
[7] Unveröffentlichte deutsche Übersetzung
[8] vgl. Balducelli Roger, Psychologische Wirksamkeit der Guten Meinung, in
Jahrbuch für salesianische Studien Band 35, Eichstätt 2003, S. 60-66
[9] Schütz Christian, S. 26
[10] Unsere Sendung – Satzungen der Oblaten des hl. Franz von Sales, Eichstätt-Wien 1991, S. 65
[11] Vgl. Ravier A., Franz von Sales, Heidelberg 1963, S. 8
[12] Maureder Josef, Wir kommen, wohin wir schauen, Innsbruck 2004, S. 94-100